Distanz ist, was dein Kopf daraus macht
Es war im Mai 2013 als ich einen meiner festen Glaubenssätze im Laufen ändern musste.
Jeder Läufer kennt das Gefühl. Im Winter fällt es ein wenig schwerer sich zu motivieren. Das Wetter ist schlecht und abends ist es früh dunkel. Und wenn dann endlich der Frühling kommt, möchte man die Laufschuhe am liebsten gar nicht mehr ausziehen. Schnell sucht man sich einen ersten Wettkampf, mit dem man die Saison eröffnet. Bei meiner Frau und mir ist das der „Deutsche Post Marathon“ in Bonn. Wenn möglich eröffnen wir unser Wettkampfjahr dort mit dem Halbmarathon. Meist gelingt es uns das Training während der Wintermonate so weit aufrecht zu erhalten, dass wir Anfang April dann in Bonn eine stabile Zeit unter zwei Stunden schaffen. In diesem Jahr wurden unsere Erwartungen allerdings übertroffen.
Allgemein ist bekannt, dass in einer effektiven Marathonvorbereitung 2-3 lange Läufe zu absolvieren sind. Unter langen Läufen versteht man Distanzen größer als 30km. In der Regel absolviert man solche Trainingseinheiten 4-6 Wochen vor dem Wettkampf, um den Körper mit längeren Strecken vertraut zu machen.
Der Winter 2012/2013 war sehr mild. Das führte dazu, dass meine Frau und ich die Anzahl unserer Laufeinheiten nicht reduzierten. Während wir sonst während der Wintermonate üblicherweise etwas faul waren, schafften wir es in diesem Winter unseren Trainingsumfang konstant beizubehalten. Es lief alles so gut und machte uns so viel Spaß, dass wir sogar zweimal eine Einheit mit 21km absolvierte. Das hatten wir die Jahre zuvor nie getan. Sonst war der Halbmarathon in Bonn die erste Strecke über diese Distanz. Dementsprechend gingen wir extrem gut vorbereiten in den Wettkampf in Bonn und brachten unseren persönlichen Saisonauftaktlauf ganz entspannt unter zwei Stunden ins Ziel.
Bis zur damaligen Zeit hatte ich noch keinen Marathon gelaufen. Dieses Projekt stand schon länger auf meiner Löffelliste und nun ließ ich mich durch den entspannten Lauf in Bonn dazu verleiten, das Vorhaben einmal anzugehen. Unser Plan war, im Mai in Mainz den Zweidrittelmarathon zu laufen, und wenn dieser genauso entspannt funktionieren würde, dann im Oktober in Köln die volle Marathondistanz anzugehen.
Mainz war insofern ein willkommener Zwischenschritt, weil man dort damals noch spontan während des Laufes entscheiden konnte, welche Distanz man sich zutraut. Man meldet sich für die volle Marathondistanz an und hat dann die Möglichkeit bei 21km oder 28km auszusteigen, oder die 42km durchzulaufen. Wir wollten also bei 28km aussteigen.
Bis Kilometer 21 lief alles gewohnt entspannt. Diese Distanz war uns bekannt und stellt keine großen Probleme dar. Auch bis Kilometer 25 war alles in bester Ordnung. Doch dann begann plötzlich der innere Dialog. Diese innere Stimme, die versucht, alle bisherigen Erkenntnisse und Gewohnheiten über den Haufen zu werfen. Jetzt wurde mein Glaubenssatz, dass man für einen Marathon 2-3 lange Läufe benötigt, massiv angegriffen. Die innere Stimme nutze meinen Wunsch einen Marathon zu finishen gnadenlos aus und redete mir ein, dass ich nicht bei Kilometer 28 aussteigen soll, sondern an diesem Tag meinen ersten Marathon absolvieren solle.
Getrieben von der Vorstellung hatte ich nun noch ca. 3km Zeit mit meinem inneren Quatschi zu diskutieren. Schließlich war es dann so weit. Es kam der letzte Kilometer, Tina stieg wie geplant aus, aber ich hatte die Diskussion mit meinem Quatschi verloren. Ich überlegte noch einmal kurz, was mir schlimmstenfalls passieren könnte und entschied dann weiterzulaufen. Nach vier Stunden und 16 Minuten kam ich ins Ziel und hatte an diesem Tag meinen ersten Marathon gefinished.
Gelernt habe ich an diesem Tage zwei Dinge. Erstens: man benötigt nicht zwingend 2-3 lange Läufe, um einen Marathon zu schaffen. Und zweitens: ab einem bestimmten Punkt im Rennen, und auch im Leben, entscheidet nur noch der Kopf über Erfolg und Misserfolg. Ich würde niemandem empfehlen mit solch geringer Vorbereitung in einen Marathonlauf hineinzugehen. Die langen Läufe sind kein Mythos, sondern absolut sinnvoll. Aber egal über welche Distanz es geht, wenn die Glaubenssätze positiv sind, der Kopf das Ziel kennt und weiß, dass man es schaffen kann, dann wird das Projekt gelingen.